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Über Schmeißfliegen und Leichenfledderer (APRIL 15)

im März 2015

Liebe Freunde des politischen Kabaretts,

Zwar hatte der deutsche Journalismus ja bereits mit seiner Ukraine-Berichterstattung den Sinkflug eingeleitet, doch erst der Aufprall einer Germanwings-Maschine in den Alpen zeigte, dass es in der deutschen Medienlandschaft nach dem Absturz sogar noch unterirdisch weiter gehen konnte. 

So stellte sich z B ein Fernsehjournalist in einem kleinen französischen Bergdorf mit einem Reportermikrophon vor eine Kamera, um mit ca 60 weiteren Kollegen davon zu berichten, dass in dem kleinen Bergdorf für die Hinterbliebenen ca 60 Betten fehlen. Man fiel mit hunderten Journalisten in eine Kleinstadt wie Haltern ein, und berichtete davon, dass sich Haltern im Ausnahmezustand befindet und nichts mehr dort ist wie es vorher einmal war. Weil das aber zur Fernsehtauglichkeit nicht reichte, bot man zusätzlich noch trauernden Kindern Geld an, um mit ihnen trauernde Szenen in Szene zu setzen. Und weil Empathie ganz oben auf der Agenda steht, schwirrte man um Freunde, Kollegen, Nachbarn, entfernte Verwandte und ehemalige Ehepartner herum, nur um sie zu fragen: „Wie fühlen Sie sich?“ Und was haben die geantwortet? Informationen mit ganz hohem Nachrichtenwert. Und wenn schon Empathie, dann natürlich aber komplett mit allen Opfern. Deswegen berichtete man nicht nur 30 Minuten lang über den Absturz eines Flugzeuges, sondern in der 31. Minute auch über den der dazu gehörenden Unternehmensaktie. Denn die leidet schließlich auch.  Und nicht zu vergessen die Experten. Was gab es da nicht alles an Spekulationen zu hören, immer mit der Einleitung: „Wir sollten jetzt nicht spekulieren.“ Und immer wenn sich eine Spekulation als falsch erwies, wurde munter weiter spekuliert. Denn im Wort "Experte" steckt ja die Silbe "Ex" drin, und deswegen heißt Experte ja auch übersetzt: "ehemaliger Fachmann". Ausgewiesen fortgeschrittene Experten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht nur verspekulieren, sondern dann auch noch darüber diskutieren, warum Experten sich so oft verspekulieren. Das sind Meta-Ebenen zu denen der normale Verstand keinen Zugang mehr hat. Vielmehr handelt es sich hierbei um weit entlegene Gehirnbereiche dieser ausgewiesen fortgeschrittenen Experten, weswegen man diese Experten ja auch "ausgewiesen fortgeschritten" nennt. Die Weltmeister dieser Spekulationsexperten fand man, wie immer im Springer-Verlag. Dort wurde ohne Rücksicht auf Unschuldsvermutung und abschließenden Auswertungen vor Verkündung eines Urteils der Name und Foto des mutmaßlichen (!) Verantwortlichen für den Absturz an den Pranger gestellt, auf dass dessen Hinterbliebene sich gleich ebenfalls von der Brücke stürzen können, und potentiellen Nachahmungstäter erfahren haben, dass ihnen die Hauptsache sicher wäre: Veröffentlichung ihres Namens und Fotos.
Es gibt Erkenntnisse aus der Sterbeforschung, die besagen, dass ein Mensch, dessen letztes Stündlein geschlagen hat, nicht so sehr darauf zurückblickt, was man für sich im Leben erreicht, sondern vielmehr auf das, was man für andere hinterlassen hat. Das heißt: Auf dem Sterbebett liegen, und auf ein Leben als BILD- Redakteur zurückblicken, das könnte es sein, was die katholische Kirche mit Vorhölle gemeint hat. Man weiß nicht was schlimmer ist: Opfer eines Unglückes zu werden, oder des danach einsetzenden Medienrummels. Aber eines hat sich gezeigt: Bei diesem Absturz gab es tote Menschen in einem Wrack und menschliche Wracks daneben. Und das waren sie dann auch zumeist: Daneben. 

Petra Mendler

Lieber HG,
ich hoffe Du hast eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Ich stimme Dir voll zu, aber ich glaube Anzeichen zu erkennen, dass du schleichend Deine Humor verlierst "Mr. Kabarett" .

Frank Schmitz

Hallo HG!
Wie eigentlich immer - jedoch diesmal ganz besonders - auf den Punkt gebracht.
Der "Betroffenheits-Tourismus" (bis hin zu "Mutti" Merkel) und viele Kommentare machen einen sprachlos!

Walter Schäfer

Die Germanwings Berichterstattung ist
ein Tiefpunkt des Journalismus in
Deutschland !