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Amy Winehouse ist tot. Keine Deutschen unter den Opfern! (AUG 11)

im Juli 2011

Stellt Euch mal vor, Ihr vernehmt den Satz:
"Bernd Clüver ist tot. Terrorexperten sind sich sicher: Dahinter stecken Islamisten!" Absurd, oder?
Handelt es sich aber nicht um einen, sondern um 77 Tote, kann man diesen Satz schon mal hören. Direkt gefolgt von dem zweitwichtigsten Satz, der da lautet: "Keine Deutschen unter den Opfern!"
Was bei Bernd Clüver zwar nicht ausnahmslos bestätigt werden kann, aber wenn es sich um die Opfer eines Gewaltverbrechens wie z. B. in Oslo handelt, dann schon. Dann werden umgehend in Sondersendungen von ARD bis N24 reflexartig die Parallelen zu den Bombenanschlägen in Madrid oder London bemüht, auch wenn diese Bomben damals in S- und U-Bahnen platziert waren, und nicht in einem Kleinbus vor einem Regierungsgebäude. 
Das gab es zwar ebenfalls schon mal, und zwar von einem gewissen Timothy McVeigh in Oklahoma. Aber was ein richtiger Experte ist, kann der daraus mühelos eine Verbindung zu Al Kaida ziehen, und sei es nur, an den Haaren herbei. Richtig islamistisch wird es aber, wenn man dann noch erfährt, dass der Attentäter von Oslo einen Weg von ca. 40 Kilometern auf sich nahm, um auf einer entlegenen Insel die Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendcamps zu massakrieren. 
Dass der Täter dabei also weniger wahllos irgendwelche Ungläubige ins Visier genommen hatte, sondern vermutlich gezielt sozialdemokratische Jugendliche, muss einen Terrorfachmann doch geradezu darin bestärken, hier sofort das klassische Muster religiöser Fanatiker wie derer vom 11. September zu erkennen. Wenn sich dann allerdings herausstellt, dass es sich bei dem Täter sehr wohl um einen Fanatiker, aber eher von der Sorte "blond, blauäugig und Vorzeige-Europäer" handelt, braucht das unsere Experten nicht daran zu hindern, sich weiterhin als Experten zu bezeichnen.
Denn im Wort "Experte" steckt ja die Silbe "Ex" drin, und deswegen heißt Experte ja auch übersetzt: "ehemaliger Fachmann". Und darum hörte man also umgehend von unseren Immer-noch-Experten von ARD bis N24 als nächstes die muntere Formulierung, dass es sich bei dem Attentäter von Oslo nicht um einen Terroristen handelt, sondern um einen Amokläufer. 
Und das ist doch sehr beruhigend. Denn ein ganz wichtiger Unterschied besteht darin, dass ein Amokläufer ein verwirrter Mensch ist, dessen religiöse Herkunft kein Thema darstellt, wohingegen man einen Terroristen vor allem daran erkennt, dass er den Koran liest. Ausgewiesen fortgeschrittene Terrorexperten zeichnen sich als nächstes übrigens noch dadurch aus, dass sie nicht nur beim kleinsten "Bumm"-Geräusch fälschlicherweise sofort an Islamisten denken, sondern dann auch noch darüber diskutieren, warum sie eigentlich sofort an Islamisten denken. 
Das sind Meta-Ebenen zu denen der normalsterbliche Verstand keinen Zugang mehr hat. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein weit entlegenes Paralleluniversum, weswegen man diese Experten ja auch "ausgewiesen fortgeschritten" nennt. Denn als These bekommt man tatsächlich zu hören, dass die allermeisten Anschläge nun mal von Islamisten durchgeführt würden, und die Gefahr, Opfer von blonden und blauäugigen Gewalttätern zu werden eher vernachlässigbar sei.
Hierfür die Tatsache zu übersehen, dass von den ca. 250 Terroranschlägen, die letztes Jahr in Europa verübt wurden lediglich drei einen islamistischen Hintergrund hatten, adelt dabei echtes Expertentum ebenso, wie das Ausblenden von ca 150 Toten, die allein in Deutschland seit dem Fall der Mauer Opfer von blonden und blauäugigen Gewalttätern wurden. 
Aber das waren ja nur ca. 7,5 Tote pro Jahr. Und nicht 77 an einem Tag. 
Deswegen auch keine Kränze, kein Blumenmeer, und keine ermüdenden Kommentare von und zu Henryk  M. Broder. Nimmt man jetzt aber noch zur Kenntnis, dass es nicht nur Experten für Islamismus, sondern auch für Wirtschafts- und Finanzthemen gibt, erhält man ungefähr einen Eindruck, warum die Opfer von Investmentbankern und Hedgefondsmanagern nicht mal im Entferntesten mit dem Begriff "Terror" in Zusammenhang gebracht werden.
Was allerdings wiederum daran liegen könnte, dass die Täter nicht mit Bomben und Feuerwaffen um sich schießen, sondern mit Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen, und deren Opfer z. Zt. eher im entferntesten, wie z B. dem entferntesten Ostafrika anzutreffen sind.  Aber wie hieß es dazu in den Nachrichtensendungen von ARD bis N24:
"Amy Winehouse ist tot. Keine Deutschen unter den Opfern."